2019

Henslowe in der Wiederaufnahme der deutschprachigen Erstaufführung von „Shakespeare in Love“ von Marc Norman, Tom Stoppard/ Bad Hersfelder Festspiele. Regie: Antoine Uitdehaag

Salam in „Aleppo. A Portrait of Absence.“ von Mohammad Al Attar/ Festival Theaterformen, Staatsschauspiel Hannover. Regie: Mohammad Al Attar, Omar Abusaada

2018

Henslowe in der deutschprachigen Erstaufführung von „Shakespeare in Love“ von Marc Norman, Tom Stoppard/ Bad Hersfelder Festspiele. Regie: Antoine Uitdehaag

Denis in „2 Uhr 14“ von David Paquet/Deutsches Theater Berlin- seit 2016/

Regie: Kristo Sagor (Platz 2 „Lieblingsinszenierungen der ZITTY-Theaterkritiker2016)

2017

Salam in „Aleppo. A Portrait of Absence.“ von Mohammad Al Attar/Haus der Kulturen der Welt/ Regie: Mohammad Al Attar, Omar Abusaada

Von 1987 bis 1990

 Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Frankfurt am Main

1990

Debüt als Oswald (Haushofmeister) in Robert Wilsons „König Lear“ (Shakespeare)- Inszenierung am Schauspiel Frankfurt

Mit u.a. Marianne Hoppe als Lear, Christoph Waltz als Edgar und Thomas Thieme als Kent.

Peter Iden, der Leiter der Schauspielabteilung an der Frankfurter Hochschule, teilt den Studenten mit, dass Robert Wilson am Schauspiel Frankfurt „König Lear“ inszenieren wird und ein oder zwei Rollen mit jungen Schauspielern besetzen möchte. Alle Studenten aus den höheren Semestern gehen zum Vorsprechen. In der riesigen Halle herrscht gespannte Stille, der große Texaner in seinem lässigen schwarzen Anzug ist umgeben von einer Schar Assistentinnen. Er beherrscht den Raum vollkommen. Keiner traut sich, auch nur einen Mucks zu machen. Wir Studenten sind allesamt zur selben Zeit erschienen. Wilson tanzt und spielt in der großen Probendekoration etwas Merkwürdiges vor, er endet mit einem Schrei auf einem Stuhl stehend. Er fordert uns nacheinander auf, das Vorgespielte genauso nach zu spielen. Mir gefällt, was er macht, ich meine, dieses scheinbar skurrile Spiel instinktiv zu verstehen. Als ich an die Reihe komme, versuche ich erst gar nicht, mich genau an die Choreographie zu halten, ich konzentriere mich einfach darauf, die Substanz, die ich hinter seinem Spiel wahrgenommen habe, zu meiner eigenen zu machen, ende aber wie er schreiend auf dem Stuhl. Dann sollen wir Texte aus „König Lear“ vorlesen. Die Dramaturgin Ellen Hammer lauscht mit strenger Miene unseren Anstrengungen. Als ich lese, klopft mir zwar das Herz bis zum Hals, aber ich fühle mich wohl mit diesem großen Text. Ein paar Tage später erreicht mich der Anruf des Frankfurter Schauspiels, der Dramaturg, Gerhard Ahrens, teilt mir mit, dass Wilson mich als Haushofmeister (Oswald) besetzen möchte und fragt, wann ich zur Vertragsverhandlung kommen könne? Großartig. Es wird der Anfang meines Berufs werden. Fortan ist das Studentenleben passé.

1990 bis 1992

Im Ensemble des Schauspiel Graz

Der Frankfurter Dramaturg Marc Günther wird zum Schauspiel- Direktor an den Vereinigten Bühnen Graz berufen. Da ich ohnehin gerade, wie er, am Schauspiel Frankfurt arbeite, rufe ich ihn einfach an. Er lädt mich zum Vorsprechen ein. Ihm gefällt, was ich mache. Als er sein Leitungsteam komplett hat, muss ich noch einmal vorsprechen. Danach steht fest, ich werde nach Graz ans Theater gehen.

Zahlreiche Rollen in dieser Zeit. Unter anderem:

Der Kauernde in der Botho Strauß- Uraufführung „Angelas Kleider“ , Regie: Leander Haußmann

Ein neuer Stern ist am Theaterhimmel aufgegangen: Leander Haußmann. In der Endphase meines Studiums habe ich von seinen „großartigen Inszenierungen“ in Weimar gehört. Das Schauspiel Graz ist in Aufruhr, man hat dem Burgtheater und Claus Peymann die Uraufführung von „Angelas Kleider“ von Botho Strauß vor der Nase weg geschnappt. Strauß hat sich gegen Peymann und für Haußmann entschieden. Ich lese auf dem Besetzungszettel, dass ich in diesem Stück „Der Kauernde“ sein soll. Ein Rollenname, der mich zunächst einmal nicht weiter abschreckt. Haußmann fährt alles auf, was der Theaterapparat hergibt. Wir proben stundenlang auf der fahrenden Drehbühne, turnen in Käfigen, schmieren uns Quark ins Gesicht…Es entsteht schließlich ein verrücktes Kaleidoskop mit diesem verrückten Stück. Aber die Kritiken nach unserer Premiere sind vernichtend. Und Botho Strauß zieht sein Stück einfach zurück. Es wird nie wieder irgendwo anders gespielt werden. Schade.

Kerch in „Untertier“ von Thomas Strittmatter, Regie: Carl Hermann Risse

Ein eher spröder Theatertext. Aber es ist eine Uraufführung und bringt uns dementsprechend einen schönen Verriss in Theater Heute ein (samt Nacktfotos dreier duschender Polizisten, einer davon, ich). Strittmatter, den ich bei der Premiere kennen lerne, ist ein unglaublich sympathischer, feinsinniger Mensch. Als ich 1995 erfahre, dass er an einem Herzinfarkt verstorben ist , bin ich geschockt und traurig. Aber in Graz ist „Untertier“ seinerzeit eine Art Durchbruch  für mich. Charly Risse, „DDR-Regisseur“ aus Ost-Berlin, hat mich liebevoll zu einem gestischen Spiel geführt, das diesem Text und Abend angemessen ist. Danach brauche ich keine Angst mehr zu haben, am Grazer Theater über die Klinge zu springen, wie andere junge Schauspieler. Ich bin Charly wirklich dankbar.

Wurm in „Kabale und Liebe“ von Schiller, Regie: Marc Günther

Ich soll Wurm spielen in „Kabale und Liebe.“ Eine großartige Aufgabe. Marc Günther möchte, dass diese Figur dem Ferdinand ein ebenbürtiger Widersacher wird. Wurm agiert als ein verzweifelt Liebender…. auf beinahe leerer, schwarzer Bühne. Eine meiner schönsten Arbeiten in Graz.

Kharkhan in „Der Traum ein Leben“ von Grillparzer, Regie: Martin Kusej

Nach der in vielerlei Hinsicht prägenden Arbeit mit Robert Wilson, lerne ich den jungen Martin Kusej kennen. Ich spüre sofort, dass sein „Theatergeist“ von der selben Größe ist und auf seine Art so konsequent wie der von Wilson, den ich in „König Lear“ erleben durfte. Der Abend wird aufregend, radikal, atemberaubend. Und er wird der sichtbare Anfangspunkt von Martins großer Karriere.

1992 bis 1993

 Im Ensemble des Schauspiel Lübeck

Auch wenn es am Grazer Theater jetzt gut für mich läuft, ich will, besser, muss, nach zwei Jahren Österreich unbedingt nach Deutschland zurück kehren. Ich halte es in Graz nicht mehr aus. Der Dramaturg Joachim Klement versucht, mich zum Bleiben zu überreden. Ich will trotzdem nicht mehr, ich habe keine Lust mehr, hier einer der angefeindeten „Piefkes“ zu sein. Das soziale Klima in Graz ist für einen Deutschen, der dort arbeitet, nicht sonderlich angenehm: die meisten Grazer sehen ihn seinerzeit als Eindringling und verhalten sich entsprechend. Als Klement realisiert, dass mein Entschluss unumstößlich ist, vermittelt er mich ans Schauspiel Lübeck. Nach einem Vorsprechen dort, werde ich engagiert.

Unter anderem:

Orest in „Iphigenie auf Tauris“ von Goethe, Regie: Klaus Hemmerle

Ein fantastischer Text von Herrn Goethe. Aber wie soll man das spielen? Der Abend wird schließlich  angemessen statisch. Wenigstens wir Schauspieler ernten gute Kritiken.

Sandy in der deutschsprachigen Erstaufführung von „ Berlin Bertie“ von Howard Brenton, Regie: Gerhard Willert

Dieser Willert hat es mir sofort angetan. Die Proben mit ihm sind witzig und lustvoll, das „Stück- Ensemble“ zieht an einem Strang. Während der Leseproben feilen wir gemeinsam an der Übersetzung , Willert spricht ein exzellentes Englisch. Die Aufführung wird großartig und wirklich komisch, trotz der sehr ernsten Themen des Stücks (u.a.: die Bespitzelung in privaten Beziehungen im Staatsauftrag der DDR). Wir haben zeitgleich mit dem Deutschen Theater Berlin die deutschsprachige Erstaufführung des Stücks. Theater Heute bedenkt uns mit einer Hymne, wir schaffen es bis ins Jahresheft des Magazins, als eine der Aufführungen des Jahres.

Der Hanullmann in „Der Hanullmann“ von Christian Ebert, Regie: Andreas von Studnitz

Als Reaktion auf die ausländerfeindlichen Krawalle, die Ausschreitungen und die mörderische Brandstiftung an der Asylbewerber- Unterkunft  in Rostock-  Lichtenhagen, hat das Theater beschlossen, in der neuen Spielzeit das Solostück „Der Hanullmann“, eine Art Psychogramm eines Neonazis, auf den Spielplan zu nehmen. Der Text passt zum Thema, ist ganz witzig, aber wenig strukturiert. Die Wahl fällt auf mich. Ich soll das spielen. Regie führt der neben Willert zweite Hausregisseur, Andreas von Studtnitz. Wir sind uns vielleicht nicht gerade sympathisch. Aber wir kommen gut miteinander klar – und es gelingt ein letztlich überzeugender Abend. Allerdings fällt gegen Ende der Spielzeit eine Entscheidung, die ich nicht akzeptieren will: Gerhard Willert wird nicht der zukünftige Oberspielleiter am Schauspiel Lübeck. Ich bitte den Intendanten, Dietrich von Oertzen, um vorzeitige Vertragsauflösung und verlasse das Theater nach nur einem Jahr wieder.

1993/ 1994

frei arbeitend, unter anderem bei den Hersfelder Festspielen und am Fritz- Remond- Theater in Frankfurt am Main. Bis mich schließlich Rolf Idler, mit dem ich in Wilsons „König Lear“ gespielt habe, in Daniel Benois Schiller-Inszenierung der „ Räuber“ als Roller auf der Bühne der Hersfelder Stiftsruine sieht und mich daraufhin dem Darmstädter Schauspieldirektor, Urs Schaub, empfiehlt. Ich spreche einige Male vor, Schaub besucht eine lausige Aufführung mit mir am Remond-Theater, lässt sich aber nicht abschrecken. Er bietet mir einen festen Vertrag an und eröffnet mir, dass ich  Romeo in „Romeo und Julia“ von Shakespeare spielen soll.

1994 bis 1996

Im Ensemble des Staatstheater Darmstadt. Unter anderem:

Romeo in „Romeo und Julia“ von Shakespeare, Regie: Urs Schaub

Diese Aufführung wird über 50 Mal ausverkauft gespielt und erhält auch  überregional Beachtung. Naomi Krauss als Julia und ich als Romeo werden in Theater Heute als „erstaunliche Spieler“ hervor gehoben. Meiner Meinung nach verdanken wir unseren Erfolg in erster Linie der wahnsinnig guten Übersetzung von Thomas Brasch, die den Text auf geniale Weise ins Heute transportiert. 

Andreas Kragler in „Trommeln in der Nacht“ von Brecht, Regie: Tobias Lenel

Vielleicht eine meiner konsequentesten schauspielerischen Arbeiten, die mir darüber hinaus eine hymnische Kritik in der FAZ einbringt.

Andreas Kragler und Romeo haben mich ins Blickfeld des Schauspiel Frankfurt gebracht. Der Intendant Peter Eschberg bietet mir an, in sein Ensemble zu wechseln. 

1996 bis 1998

 Im Ensemble des Schauspiel Frankfurt. Unter anderem:

 La Fleche in „Der Geizige“ von Moliere, Regie: Hans Falar

Hier beginnen die Proben bereits vor der Sommerpause 1996. Der spät berufene, hochtalentierte, aber mitunter auch leicht zerstörerische Wiener Regisseur Hans Falar hält ein großes Stückensemble in Atem, das (Angst-) schweißgebadet auf der großen Bühne nach Rettung sucht. Meine erste Rolle dort gerät zu einem kleinen Albtraum. Die Proben sind nervenaufreibend…  Das Ergebnis aber ist am Ende akzeptabel – und niemand wird gezwungen, danach den Beruf aufzugeben. Kleine Notiz am Rande: als La Fleche muss ich unter dem Rock der Frosine herumkriechen und sie unsittlich traktieren. Frosine spielt die wunderbare Ingeborg Engelmann, die schon zu meiner Zeit an der Frankfurter Hochschule dort eine hoch geschätzte Schauspiel-Dozentin ist. Ich bin also, wie man sich denken kann, leicht gehemmt, diese großartige und auch schon etwas ältere Schauspielerin unsittlich zu berühren. In einer Probenpause nimmt sie mich schließlich beiseite, setzt sich mit mir in die Sonne auf eine Bank und fordert mich auf, ihre Brüste fest in die Hände zu nehmen…. Ich tue es schließlich. Sie sagt nur: „Na also, geht doch ..“  Ich bin ihr unendlich dankbar – und von da an ist das Eis gebrochen. Wenngleich ich später, während der Vorstellungen, jede versaute Berührung der Frosine mit kräftigen Fußtritten der Engelmann und vielen blauen Flecken bezahlen muss. Mir erscheint das nur gerecht.

Estragon in „Warten auf Godot“ von Beckett, Regie: Tom Kühnel, Robert Schuster

Wir spielen diesen großen Text in einem kleinen einsamen Gebirge, das der Bühnenbildner Jan Pappelbaum auf die Bühne gezaubert hat. Wir agieren darin wie in einem Puppenspiel, als überdimensionierte, in zweieinhalbstündiger Maskensitzung um 50 Jahre gealterte, Figuren eines absurden und komischen Theaters. Die Kritik weiß diesen originellen Abend nicht unbedingt zu schätzen, aber beim Publikum wird er ein großer Erfolg.

Biff in „Tod eines Handlungsreisenden“ von Miller, Regie: Karl Welunschek

Was für ein Geschenk, dieses wunderbare Stück, diese wunderbare Rolle!

Und, ohne es vorher auch nur zu erahnen, was für ein Geschenk, dieser Regisseur!

Ich kenne Welunschek aus einer vorangegangenen Arbeit am Schauspiel Frankfurt:

„Die lustigen Weiber von Windsor“ von Shakespeare (sein vielleicht schlechtestes Stück). Ein erlesenes Schauspieler-Ensemble versucht, in einem auf vier Stunden zerdehnten Abend, lustig seine Haut zu retten, auch ich. Trotzdem schätze ich Welunschek. Er tut wenigstens nicht so, als wolle er mit diesem schwachen Text großartig etwas erzählen.

Jetzt also „Der Handlungsreisende“ mit ihm. Ich freue mich sehr drauf. Nicht zuletzt, weil ich weiß, Welunschek wird mich einfach meine schauspielerische Arbeit tun lassen. Dann ein Vorbereitungstreffen mit ihm und meinem Stückbruder Nicolas von Wackerbarth (Happy). Nicolas ist als Anfänger ans Schauspiel Köln gegangen, zu Günther Krämer. Nun, nach zwei Jahren Köln, schließt er sich dem Ensemble des Schauspiel Frankfurt an. Wir schlendern zu dritt über eine Brücke Richtung Sachsenhausen. Welunschek fragt mich, ob ich Fragen zum Stück oder meiner Rolle habe? Ich sage, „nein.“ Nicolas ist irritiert. Er versucht etwas zu erfragen, seine Ideen zu äußern. Er sucht meinen Blick… Welunschek schweigt, so wie ich. Diese schweigsame Gelassenheit macht Nicolas völlig fertig. Er beschließt, einfach zu lachen über das absurde (Nicht-) Gespräch.

Rudolph Donath (ehemaliger Theater-Star aus Dresden) kämpft sich durch seinen Willy Lohmann. Wir proben für die Kammerspiele, sein Ton passt anfangs eher in die Frankfurter Oper. Aber, nicht zuletzt, aufgehoben und aufgefangen durch die wunderbare Evelyn Krietzsch-Matzura, die Linda spielt, findet er seinen persönlichen Handlungsreisenden und spielt ihn am Ende tatsächlich großartig und berührend. Mein „Bruder“ Nicolas und ich finden schnell zueinander. Wir haben großen Spaß, lachen sehr viel während der Proben. Welunschek beobachtet nur, stellt Fragen, korrigiert  sanft. Er ist ein Freund der Schauspieler und der persönlichen (kreativen) Freiheit. Er schaut aufmerksam und gut zu. Er  fürchtet sich nicht vor Überraschungen. Einmal, als ich während einer Probe nicht versuche, eine Szene richtig zu spielen, sondern alles nur unter einem bestimmten Aspekt behandle, fragt er mich irritiert: „Jens, was spielst Du denn da?“ Ich sage ihm, dass ich nur mal etwas ausprobieren musste. Er sagt lediglich: “ ach so.“

Der Abend schießt in Frankfurt durch die Decke und wird zum Ereignis. Niemand hat damit gerechnet. Ich habe allerdings noch vor der Premiere meinen Vertrag am Schauspiel Frankfurt gekündigt, weil ich ahne, dass dieser Abend Türen für mich öffnen wird, durch die ich gehen möchte. Und tatsächlich, die Frankfurter Rundschau widmet mir ein ganzseitiges Portrait. Der Theater-und Filmkritiker Wilhelm Roth schreibt einen unglaublich schönen Text über mich und meine Arbeit…Es folgen interessante Film- und Fernsehangebote, die neue Perspektiven eröffnen.

Nick in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ von Albee, Regie: Hans Falar

ist meine vorerst letzte Frankfurter Arbeit. Mit Hans Falar habe ich diesmal relativ entspannte Proben. Fritz Praetorius, der den George spielt, ist für mich ein Naturereignis auf der Bühne. Ich genieße es sehr, mit ihm zu spielen. Er ist nie berechenbar, aber immer von großer Intensität. Der Abend gefällt mir!

1998/ 99

Cornwall in „Lear“ von Shakespeare, Regie: Dimiter Gottscheff/ Deutsches Schauspielhaus Hamburg

Ich fahre nach Hamburg. Dimiter Gotscheff sucht einen Cornwall für seine „Lear“-Inszenierung. Wir treffen uns in der Theaterkantine. Mitko, so nannte man Gotscheff, und ich. Das Gespräch verläuft rätselhaft. Mitko fragt mich schließlich, wie wir es machen sollen. Ich sage: “wir schauen uns tief in die Augen…und dann arbeiten wir zusammen.“ Wir lachen und er ist einverstanden. Meine erste Probe beginnt……Bierbichler (Lear) soll später dazu kommen. Wir (Regan und Cornwall) performen uns an der schwarzen Rückwand der Probebühne entlang, sexualisiert und elastisch. Es hat etwas, aber ich fühle mich nicht besonders wohl, bin unsicher, ob das etwas erzählt. Bierbichler hat sich raubkatzenhaft in den Raum geschlichen, wie in seine Rollen, denke ich. Er fragt Mitko, ob das, was er da sehe, Mitkos Ernst sei. Da würde er erst gar nicht auftreten, wenn wir das so spielten. Mitko ist bedient. Zu allem Überfluss pflichte ich (wahrscheinlich zu Unrecht) meinem alten Idol (Bierbichler) bei: ich fände das auch nicht so toll. Erste Probe überhaupt – und schon Feierabend mit der ganzen Produktion im Grunde. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Probenzeit. Mitko und Bierbichler setzen sich gegenseitig Schachmatt und alle anderen Akteure auf der Bühne gehen ein wie kleine Primeln. Die Premiere an einem Sonntag Abend wird entsprechend desaströs und öd…Wie schade. Denn ich finde dieses Theater, Gotscheff und Bierbichler…eigentlich großartig.

2001

Hauptrolle in „Jeff Koons“ von Rainald Goetz, Regie: Christian Pade/ Schauspiel Frankfurt

Tatsächlich wieder das Schauspiel Frankfurt. Die Hauptrolle im Kinofilm „Der tote Taucher im Wald“ (von Marcus O. Rosenmüller) hat mir etwas Ruhm beschert. Das Schauspiel Frankfurt holt mich zurück ans Haus. Den Regisseur Christian Pade treffe ich zwischen zwei Drehterminen im Bahnhofsrestaurant des Frankfurter Hauptbahnhofs. Wir haben keine Stunde Zeit, uns ein wenig kennen zu lernen. Aber wir sind uns sofort sympathisch und ich habe Vertrauen in ihn. Wir verabreden die Zusammenarbeit. Es ist dann tatsächlich ein tolles Ensemble beisammen, u.a. die wunderbare Anika Kuhl und die nicht minder wunderbare Magdalene Artelt…Ich segle durch die fantastischen Textberge, die man mir zugedacht hat.

Der Abend ist nur in seinen zu statischen Übergängen nicht so stark, ansonsten ist er schön schräg und abgefahren, so wie der grelle Text von Rainald Goetz es verlangt!

2005 bis 2009 als Gast am Deutschen Theater Berlin

Biff in „Tod eines Handlungsreisenden“ von Miller, Regie: Dimiter Gottscheff/ Deutsches  Theater Berlin

Es muss kurz vor 10 Uhr morgens sein. Ich habe seit vier Jahren mit dem Theater quasi nichts mehr zu tun, als mein Telefon mehrmals hintereinander ausdauernd klingelt. Ich bin nach einer Geburtstagsfeier am Vorabend schwer verkatert und gehe einfach nicht ran. Als es zum fünften Mal klingelt, kämpfe ich mich aus dem Bett. Es scheint dringlich zu sein. Der Geschäftsführer des Deutschen Theaters Berlin, Klaus Steppat, kommt sofort zur Sache: „ Jens, wen hast Du im „Handlungsreisenden“ gespielt in Frankfurt, Biff oder Happy?“ Ich antworte: „Biff.“ „OK, ich ruf Dich sofort wieder an.“

Zwei Minuten später ist er wieder an der Strippe: ob ich am Abend im Deutschen Theater den Biff übernehmen könne, die Vorstellung sei ausverkauft und Robert Galinowski erkrankt. Ich sage ihm, dass ich das machen könne, dass ich aber nicht glaube, dass Gotscheff (der Regisseur des Abends) das auch wollen würde, ich hätte mich beim „Lear“ in Hamburg nicht besonders gut mit ihm verstanden. Wir legen wieder auf. Mir wird mulmig. Ich habe seit vier Jahren auf keiner Theaterbühne mehr gestanden. Das Telefon läutet erneut. Steppat sagt, Mitko sei einverstanden, ich müsse aber, bevor ich ins Theater komme, erst zu Mitko in die Volksbühne fahren, wo dieser gerade probe, er wolle mich vorher noch sprechen. Nach einer Blitzdusche sitze ich im Taxi von Charlottenburg Richtung Mitte, zur Volksbühne. Als ich den Zuschauerraum betrete, sind Samuel Finzi und er gerade in ein leises intensives Gespräch vertieft. Mir läuft die Zeit bis zum Abend davon, ich muss die Aufzeichnung des Handlungsreisenden noch ansehen und mich dann mit dem Text wieder vertraut machen und mit der Strichfassung dieser Aufführung. Um 17 Uhr soll eine Bühnenprobe stattfinden und um 19 Uhr 30 die Aufführung. Mitko tut so, als hätte er mein Kommen gar nicht bemerkt. Ich setze mich in die 10te Reihe Mitte und stelle mein Handy auf lautlos. Ich atme durch. Mitko schlendert jetzt in die 9te Reihe und setzt sich in den Stuhl, der um eins versetzt vor meinem steht. Er spricht über die Schulter zu mir. Er fragt mich, wo ich Biff gespielt habe? „Frankfurt“, antworte ich. „Welcher Regisseur?“ „Karl Welunschek.“ „Kenne ich nicht.“ „War eine gute Aufführung!“ „Aha.“ Er sieht mir kurz in die Augen: „Und Du würdest das machen?“ Dabei schaut er leicht mitleidig, ungefähr so, wie man auf einen liebenswerten kleinen Idioten schaut. „Ja klar“, sage ich, „ ich gebe natürlich mein Bestes.“ Er tätschelt kurz meine Wange: „na dann..“ Er wendet sich wieder seinen Proben zu. Ich verlasse leicht lädiert den Zuschauerraum. Nicht nur, dass ich von der letzten Nacht her diesen mächtigen Kater mit mir herum schleppe, der erste Lohn für mein spontanes Einspringen, das mir hier noch alles andere als vernünftig erscheint, ist ein abfälliges Wange tätscheln von Mitko, das mich nichts als wertvolle Zeit gekostet hat. Großartig. Ich sitze wieder im Taxi, jetzt Richtung DT. Die Assistentin gibt mir die Textfassung des Abends. Ich schaue mir die Videoaufzeichnung der Aufführung an. Alles ziemlich statisch, also nicht zu viel zu merken auf die Schnelle. Die Probe um 17 Uhr auf der Bühne schnurrt nur so durch, alle machen es mir leicht, Christian Grashoff, Margit Bendokat, Stephan Kaminsky. Kurz vor Aufführungsbeginn gehe ich im Kostüm zum Pinkeln. Es tropft nach und hinterlässt einen kleinen Fleck auf der Hose. In der Garderobe föhne ich den gerade trocken, als Bernd Wilms ,der Intendant, nach kurzem Klopfen einfach herein tritt. Wie gesagt, ich föhne gerade meinen Schritt. Eine kurze irritierte Verlegenheit entsteht. Dann beschließt er wohl, den Vorgang für ein persönliches Bühnenritual von mir zu halten und spuckt mir über die Schulter:“ Toi Toi Toi.“ Die Vorstellung läuft wunderbar. Diese Rolle lebt immer noch in mir, obwohl ich sie seit 1998 nicht mehr gespielt habe….Das Publikum im ausverkauften Haus feiert am Ende die Aufführung und spart auch mir gegenüber nicht mit lautem Bravo. Ich bin vollkommen erledigt….. 

Den Abend feiere ich in der Kantine. Mehr oder minder alleine. Ich realisiere erst langsam, dass ich natürlich der einzige weit und breit bin, der hier heute eine Premiere hatte. Einen Tag später ruft mich Bernd Wilms an, die nächste Vorstellung des „Handlungsreisenden“ steht unmittelbar bevor und der Kollege ist immer noch krank. Meine Übernahme sei ja gut gelaufen, befindet er, aber die nächste, übermorgen, solle ich doch ohne Textbuch, also auswendig, spielen. Ich sage ihm, dass das kein Problem sei. Es ist tatsächlich keines: ich habe diesen Text seinerzeit in Frankfurt förmlich eingeatmet, er ist sofort wieder präsent gewesen während meiner Übernahme. Aber ich bin ein wenig enttäuscht: statt eines Lobs, gleich die Formulierung eines Anspruchs, der mich sogleich in die nächste Klemme bringt. Denn wenig später folgt der Anruf von Christian Grasshoff (Willy Lohmann im „Handlungsreisenden“). Er bittet mich, auch die nächste Vorstellung mit Buch in der Hand zu spielen…, ansonsten würde er nicht auftreten können. Ich bin überrascht von dieser Ansage. Aber ich verstehe natürlich, dass da nicht einfach einer von außen kommen darf , der, ohne Bestandteil des vorangegangenen Probenprozesses gewesen zu sein,  so tut, als sei er integraler Bestandteil der Inszenierung. Vielleicht will er mir auch nur den Druck nehmen.  Es folgt der Anruf von Michael De Vivie, dem künstlerischen Betriebsdirektor, den ich noch vom Hamburger Schauspielhaus kenne. Er teilt mir meine nächste Bühnenprobe für den „Handlungsreisenden“ mit:“…morgen 17 Uhr…Mitko kommt auch!“ Dieser Satz ist ein Schlag in meinen Magen. „Probe mit Mitko, Scheiße!“ Ich weiß genau, was mir blüht. Er wird sich an mir rächen. Für seinen Hamburger „Lear!“ Ich beschließe, es über mich ergehen zu lassen. Mitko inszeniert mich mit dem Textbuch in meiner Hand. Ich soll es als schweren, meine Existenz bestimmenden und sie symbolisierenden Stein bespielen und dabei Biffs Texte aus meinen Eingeweiden brüllen…Keine Zwischentöne, keine Differenzierungen. Als hätte ich tatsächlich während des Hamburger „Lear“ Schuld auf mich geladen, trage ich diesen Stein wie ein reuiger Sünder und trage gleich Mitkos ganzes „Hamburger- Lear- Versagen“ in diesem Moment mit. Dann ist es endlich vorbei. Aber Mitko droht an, während der Vorstellung zu bleiben. Ich weiß nicht, was ich machen soll? Ich finde so ziemlich alles, was er für diesen Abend von mir will, na ja,… Scheiße. Nur in einer Szene nicht, da ist das schwere Mühlstein- Textbuch richtig gut. Klaus Steppat ruft mich kurz vor Vorstellungsbeginn an: „Jens, alles in Ordnung?“ „Nein, nichts ist in Ordnung. Mitko will lauter Zeugs von mir, das ich blöd finde…Und dann will er auch noch während der Aufführung bleiben…Dabei lief die erste Übernahme- Vorstellung großartig…Mir wird schon etwas einfallen…“ Fünf Minuten später steht der herüber geeilte Chef- Dramaturg, Oliver Reese, vor mir. Ich bin in den Garderoben- Flur geflüchtet. „Was ist los?“, fragt er. „Klaus sagt, Du seist durcheinander!?“ Ich erkläre es ihm kurz. Noch 10 Minuten bis zum Vorstellungsbeginn. Er hört mir verständnisvoll zu, versucht, mich zu beruhigen. Dann führt er plötzlich aus, dass es ja klar sei, wenn Mitko mit einem Schauspieler richtig arbeiten würde, dass der Schauspieler dann erst einmal  aufgewühlt und durcheinander sei..Na, vielen Dank. Glücklicherweise hat Chrisian Grasshoff, der nervös durch die Gänge irrt, einen Teil unseres Gesprächs mit gehört. Er ruft mir aus einigen Metern Entfernung laut zu: „Jens, Du spielst, was Du willst! Das ist wunderbar, wie Du das machst!“ Reese schaut verblüfft. Er wünscht mir eine gute Vorstellung. Es folgt der letzte Einruf. Mitko tritt vor den Vorhang. Er erklärt dem ausverkauften Haus die Übernahme des Biff durch mich. Dann geht der Vorhang endlich hoch. Ich spüre ihn noch gut 10 Minuten in der Nähe des Inspizienten- Pults, dann verschwindet er… endlich….Das Publikum feiert die Aufführung wieder…auch mich.

Einen Tag vor der nächsten Vorstellung erneut ein Anruf von Michael De Vivie:“17 Uhr, Probe mit Mitko.“ Diesmal bin ich nicht geschockt. Ich denke mir:“ O.K., jetzt sind wir quitt.. und, diesmal lasse ich mich nicht quälen.“ (Obwohl ich immer noch nicht weiß, was ich ihm eigentlich angetan habe) Die Probe verläuft völlig anders als die erste, Mitko ist plötzlich milde. Wir werden uns schnell einig, wie der Abend mit Biff verlaufen soll heute. Ich gehe entspannt in die Vorstellung.

Vor dem nächsten Aufführungstermin kommt wieder der Anruf von Michael De Vivie: „17 Uhr, Probe mit Mitko.“ Ich erkläre ihm kurz, dass ich nicht mehr proben werde und das Buch auch nicht mehr mit auf die Bühne nehme. Wenig später ruft Mitko mich an: „Habe gehört, Du willst nicht mehr proben?!“ „Nein, Mitko, es ist doch jetzt alles klar.“ „Habe gehört, Du willst ohne Buch spielen?!“ „Ja, Mitko, das wird doch langsam albern mit dem Buch, ich kenne den Text in und auswendig, ich fühle mich frei und will frei spielen.“ Kurzes Schweigen. „Viel Gluck.“ Dann legen wir auf. Er hat tatsächlich „Gluck“ gesagt und nicht Glück. Und das finde ich ehrlich gesagt ziemlich witzig und liebenswert.

Ich spiele noch ein paar Vorstellungen „Handlungsreisender“ ( frei). Dann ist der Kollege wieder gesund und ich gebe die Rolle an ihn zurück.

 Ich weiß nicht, ob ich so großen Eindruck gemacht habe, aber man bietet mir die nächste Übernahme an, diesmal dauerhaft und mit 2 Wochen richtigen Proben.

Beaumarchais in „Clavigo“ von Goethe. Regisseur ist der absolut verrückte Martin Pfaff. Die Proben mit ihm und den Kollegen machen Spaß. Ich spiele die Aufführungen danach sehr gerne!

Es folgen noch „Tartuffe“, „Die Physiker“, “Nachtlieder“ (mein eigenes Songprogramm) und eine einmalige Übernahme in „Alice“, ehe meine Zeit, wie die von Bernd Wilms und Oliver Reese, am Deutschen Theater 2009 vorerst endet und erst 2016 mit „2 Uhr 14“ eine Fortsetzung findet.

Von 1988 bis heute gab es zahlreiche weitere Rollen in interessanten Theaterarbeiten, die ich hier nicht ausführlich beschreiben oder würdigen konnte. Aber ich möchte einige der Regisseure noch erwähnen, mit denen ich dabei zusammen gearbeitet habe: Peter Palitzsch, Marco Bernardi, Ellen Hammer, Kai Hensel, Daniel Benoir, Peter Lotschak, Jürgen Tamchina, Wolfgang Deichsel, Martin Eickel, Bettina Grack, Peter Eschberg, Robert Schuster, Annette Kuß.